12. Ein europäisches Parlament avant la lettre?
Zu den notwendigen Institutionen für eine effiziente Regierung einer Staatengemeinschaft hatte Heinrich IV., wenn wir Sullyxv Glauben schenken dürfen, „einen europäischen Generalrat“ angedacht, der für einen Teil der Verwaltung dieser Gemeinschaft zuständig gewesen wäre.
Das Muster dieser allgemeinen Ratsversammlung von ganz Europa war der alte Rat der Amphiktionen in Griechenland, freilich mit denjenigen Abänderungen, die unsere Gebräuche, unser Klima und die Absichten unseres Staatssystems erforderten. Sie sollte aus einer gewissen Anzahl von Kommissarien, Ministern oder Bevollmächtigten aller Staaten der christlichen Republik bestehen, welche in Form eines Senats beständig versammelt wären, um sich über die vorkommenden Geschäfte zu beratschlagen, die streitigen Interessen zu vereinigen, die Zwistigkeiten beizulegen, alle bürgerlichen, politischen und kirchlichen Angelegenheiten der Europäischen Staaten, die sowohl unter ihnen, als mit Fremdem vorkommen würden, aufzuheitern und in Ordnung zu bringen. Die äußerliche Einrichtung und die Prozeduren dieses Senats wären dann in der Folge durch Mehrheit der Stimmen von ihm selbst näher bestimmt worden. Nach Heinrichs Gedanken sollten z.B. für die folgenden Fürsten, den Kaiser, den Papst, die Könige von Frankreich, Spanien, England, Dänemark, Schweden, Lombardei und Polen und für die Republik Venedig vier Kommissarien und für die übrigen Republiken und kleineren Monarchien zwei diesem Senate beiwohnen. Dies hätte ungefähr eine Zahl von sechsundsechzig Personen ausgemacht, welche jedes Mal nach Verfluss von drei Jahren hätten abgeändert werden müssen.
Maximilien de Béthune, Herzog von Sully, Denkwürdigkeiten (1778).
Rechtefreier deutscher Text (Edition von 1786) unter: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10415487_00003.html
Originaltext (Edition von 1778) unter: https://books.google.de/books?id=t-iAVIeyd8UC &printsec=frontcover