67. Die Erfüllung der Ziele der Natur
In seiner Idee zu einer universellen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), gibt Immanuel Kant eine Reihe von Vorschlägen, die ihm nützlich für den Menschen erscheinen, damit dieser sein persönliches Schicksal als auch den Lauf der Welt besser verstehe. Er diskutiert die Idee des Fortschritts und spricht von der Idee „eines versteckten Plans der Natur“, den es zu erkenne gilt, wenn man eine Nationengemeinschaft nach moralischen Regeln bilden möchte.
Achter Satz. Man kann die Geschichte der Menschengattung im Großen als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, um eine innerlich—und, zu diesem Zwecke, auch äußerlich—vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann.
[…] Jetzt sind die Staaten schon in einem so künstlichen Verhältnis gegeneinander, dass keiner in der inneren Kultur nachlassen kann, ohne gegen die andern an Macht und Einfluss zu verlieren; also ist, wo nicht der Fortschritt, dennoch die Erhaltung dieses Zwecks der Natur, selbst durch die ehrsüchtigen Absichten derselben ziemlich gesichert. Ferner: bürgerliche Freiheit kann jetzt auch nicht sehr wohl angetastet werden, ohne den Nachteil davon in allen Gewerben, vornehmlich im Handel, dadurch aber auch die Abnahme der Kräfte des Staats im äußeren Verhältnisse, zu fühlen. Diese Freiheit geht aber allmählich weiter. Wenn man den Bürger hindert, seine Wohlfahrt auf alle ihm selbst beliebige Art, die nur mit der Freiheit anderer zusammen bestehen kann, zu suchen; so hemmet man die Lebhaftigkeit des durchgängigen Betriebes, und hiermit wiederum die Kräfte des Ganzen. Daher wird die persönliche Einschränkung in seinem Tun und Lassen immer mehr aufgehoben, die allgemeine Freiheit der Religion nachgegeben; und so entspringt allmählich, mit unterlaufendem Wahne und Grillen, Aufklärung, als ein großes Gut, welches das menschliche Geschlecht sogar von der selbstsüchtigen Vergrößerungsabsicht seiner Beherrscher ziehen muss, wenn sie nur ihren eigenen Vorteil verstehen. Diese Aufklärung aber, und mit ihr auch ein gewisser Herzensanteil, den der aufgeklärte Mensch am Guten, das er vollkommen begreift, zu nehmen nicht vermeiden kann, muss nach und nach bis zu den Thronen hinaufgehen, und selbst auf ihre Regierungsgrundsätze Einfluss haben. Obgleich z. B. unsere Weltregierer zu öffentlichen Erziehungsanstalten und überhaupt zu allem, was das Weltbeste betrifft, vorjetzt kein Geld übrig haben, weil alles auf den künftigen Krieg schon zum Voraus verrechnet ist; so werden sie doch ihren eigenen Vorteil darin finden, die obzwar schwachen und langsamen eigenen Bemühungen ihres Volks in diesem Stücke wenigstens nicht zu hindern. Endlich wird selbst der Krieg allmählich nicht allein ein so künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so unsicheres, sondern auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsenden Schuldenlast (einer neuen Erfindung) fühlt, deren Tilgung unabsehlich wird, ein so bedenkliches Unternehmen, dabei der Einfluss, den jede Staatserschütterung in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten Weltteil auf alle andere Staaten tut, so merklich; dass sich diese durch ihre eigene Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern anbieten, und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper anschicken, wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat. Obgleich dieser Staatskörper für itzt nur noch sehr im rohen Entwurfe dasteht, so fängt sich dennoch gleichsam schon ein Gefühl in allen Gliedern, deren jedem an der Erhaltung des Ganzen gelegen ist an zu regen; und dieses gibt Hoffnung, dass nach manchen Revolutionen der Umbildung endlich das, was die Natur zur höchsten Absicht hat, ein allgemeiner weltbürgerlicher Zustand, als der Schoß, worin alle ursprüngliche Anlagen der Menschengattung entwickelt werden, dereinst einmal zu Stande kommen werde.
Immanuel Kant, Idee zu einer universellen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht in Gesammelte Schriften (1784).
Rechtefreier Originaltext (Edition von 1784) unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3506/1