In der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaft, Künste und Handwerke), die als eines der großen Werke der europäischen Aufklärung gelten kann, gibt Louis de Jaucourt (1704-1779),x einer der produktivsten Autoren von Artikeln für die Enzyklopädie, eine Beschreibung der Geographie Europas als einer der vier Kontinente, da der Okzident Australien zu der damaligen Zeit noch nicht kannte. Weiterhin verweist Jaucourt auf das reiche kulturelle Erbe Europas.
EUROPA (geog.), große Region der bewohnten Welt. Die wahrscheinlichste Etymologie leitet das Wort Europa aus dem Phönizischen urappa ab, das in dieser Sprache weißes Gesicht bedeutet; das Attribut mag man der Tochter des Agenors und der Schwester des Cadmus gegeben haben, wenigstens aber auf die Europäer, die weder so dunkelhäutig wie die Südasiaten noch so schwarz wie die Afrikaner sind, trifft es zu.
Europa hatte weder immer denselben Namen noch dieselben Ausmaße, was auf die Völker, die es bewohnten, zurückzuführen ist; und die Unterteilungen hängen mangels der Historiker, die uns einen Faden reichen sollten, mit dem wir aus diesem Labyrinth finden, von einer unmöglichen Kleinigkeit ab.
Da ich jedoch weit davon entfernt bin, Europa in diesem Artikel so zu betrachten, wie es die Alten taten, deren Schriften bis in unsere Zeiten überdauert haben, will ich hier nur ein einziges Wort über seine Grenzen verlieren.
In ihrem längsten Punkt erstreckt sie sich vom Kap Sankt Vinzenz in Portugal und in der Algarve über die Küste des Atlantischen Ozeans bis zur Mündung des Ob im Nordischen Ozean , über ein Gebiet von 1200 französischen Meilen und über einen Winkel von 20 Grad oder über 900 deutsche Meilen. Ihr breitester Punkt, gemessen ab dem Kap Matapan über Morée in der Mitte bis zum Nordkap, im nördlichsten Teil Norwegens, misst 733 Meilen, ebenfalls in einem Winkel von 20 Grad, oder 500 deutsche Meilen. Im Osten grenzt sie an Asien; im Süden an Afrika, wovon sie durch das Mittelmeer getrennt wird; im Westen durch den Atlantischen Ozean, auch Westlicher Ozean genannt, und im Norden durch das Eismeer.
Ich weiß nicht, ob man damit Recht hat, die Welt in vier Teile einzuteilen, von denen man Europa einen zuweist. Diese Unterteilung erscheint wenigstens nicht genau, weil in sie auch der arktische und der antarktische Pol eingerechnet sind, die, wenngleich weniger bekannt als der Rest, nicht aufhören zu existieren und keine weiße Fläche auf den Globen und Karten verdienen.
Wie dem auch sei, Europa ist immer noch der kleinste Teil der Welt; aber, wie der Autor des Werkes Geist der Gesetzexii bemerkt, hat sie so ein Ausmaß an Kraft und Einfluss erlangt, dass der Historiker dem nichts entgegensetzen kann, wenn er das unendliche Ausmaß an Ausgaben, die Größe der militärischen Verpflichtungen, die Anzahl der Truppen und ihre Unterhaltskosten, auch wenn diese wahrlich unnütz sind, weil sie nur der Schau dienen, betrachtet.
Im Übrigen tut es wenig zur Sache, dass Europa bezüglich seiner geographischen Ausdehnung der kleinste der vier Weltenteile ist, weil er aufgrund des Handels, der Schifffahrt, der Fruchtbarkeit, der Aufgeklärtheit der Bewohner, der Industrie, der Kenntnisse in Kunst, Wissenschaft und Handwerk und, was am wichtigsten ist, aufgrund des Christentums, dessen wohltuende Moral zur Glückseligkeit der Gesellschaft führt, der bemerkenswerteste ist. Wir schulden dieser Religion in der Regierung ein bestimmtes politisches Recht und im Krieg ein gewisses Völkerrecht, das die menschliche Natur nicht angemessen zu würdigen weiß. Indem sie nur das Glück eines anderen Lebens als Ziel zu haben scheint, sorgt sie auch für unser Glück in diesem Leben. Europa ist in den ältesten Zeiten Keltisch genannt worden. Es liegt zwischen dem 9. und dem 93. Längengrad und zwischen dem 34. und dem 73. nördlichen Breitengrad. Die Geographen werden dem Leser die anderen Details lehren.
Louis de Jaucourt, „Europa“, in Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Handwerke (1751).
Rechtefreier Originaltext (Edition von 1756) unter: https://fr.wikisource.org/wiki/L’Encyclopédie/1re_édition/Volume_6